Ms. Ella Fitzgerald bedient sich

Vicky und ich wollen abends ins China-Restaurant gehen, doch bis dahin ist noch massenhaft Zeit, weshalb ich ihr vorschlage, bei mir einen Kaffee zu trinken. Sie taucht mit ihrer Hündin namens Ella Fitzgerald auf. Während wir in der Küche stehen und darauf warten, dass die Kaffeemaschine ihre Magie vollbringt, höre ich Ella in meinem Arbeitszimmer wie verrückt bellen. Ich mache mir Sorgen, dass meine große Peluche die kleine Ella vielleicht vor lauter Begeisterung über den Besuch irgendwie in die Enge getrieben hat, daher marschiere ich neugierig ins Nebenzimmer, wobei mir Vicky auf dem Fuß folgt. Der Anblick, der sich uns bietet, ist allerdings anders als erwartet: Ella steht auf den Hinterpfoten, hat die Vorderpfoten auf meinem Schreibtisch abgestützt und bellt Cielo an, die sich hinter meinen Laptop geflüchtet hat und den typischen Katzenbuckel macht. Von Peluche dagegen weit und breit keine Spur. Vicky zieht Ella am Halsband vom Tisch weg und aus meinem Arbeitszimmer heraus, während ich die Tür hinter uns schließe, damit Cielo sich so isoliert erst einmal wieder beruhigen kann.

‚Was wäre Kaffee ohne Süßes?‘, frage ich mich und stelle daher – ganz die perfekte Gastgeberin – auch ein paar in Papierförmchen gewickelte Magdalenas und ein paar winzige arabische Süßigkeiten aus Sesam und Honig auf den Tisch.

Wir setzen uns, trinken Kaffee, naschen ein paar Magdalenas und quatschen. Als Vicky sich im Bad die Hände wäscht, nutze ich die Gelegenheit, um Cielo in den Garten zu lassen, wo sie vor Ella Fitzgerald sicher ist. Sie klammert sich mit ihren Krallen an mich und maunzt und brummt hörbar, doch ich habe Glück. Ella bemerkt uns nicht und verfolgt uns somit auch nicht. An der Haustür pflücke ich Cielo von meinem Pullover und  setze sie draußen ab. Peluche ist ebenfalls schon eine Weile im Garten, ihr war es trotz Ella-Besuch zu langweilig hier drinnen.

Als ich mich umdrehe, um zurück ins Wohnzimmer zu gehen traue ich meinen Augen nicht. Kein Wunder, dass Ella Cielo und mich nicht verfolgt hat. Ms. Fitzgerald steht nämlich gerade schön bequem mit den Vorderpfoten auf dem niedrigen Wohnzimmertisch und verschlingt die letzten Süßigkeiten aus den beiden Schachteln. Zusammen mit sämtlichen Papierförmchen.

„Ella!“, rufe ich völlig entgeistert. Vicky kommt aus dem Bad gerast und fragt aufgeregt: „Was ist los?“

Ich deute fassungslos auf die Bescherung, und Vicky kann sich kaum das Lachen verkneifen.

„Äh, ja“, gibt sie mit großen Augen zu und ist dabei nur ganz leicht peinlich berührt. „Sie frisst alles, was sie vor die Nase bekommt.“

„Ja, aber das Papier?! Wird ihr davon denn nicht schlecht?“, wundere ich mich und sehe die arme Ella im Geiste schon das ganze Papier wieder hervorwürgen.

„Nö.“, winkt Vicky gelassen ab. „Ihr wird nie schlecht. Wenn wir spazieren gehen, ist sie ein echter Staubsauger, ich komme gar nicht mehr hinterher, weil sie so schnell ist und sofort alles verschlingt, was sie sieht. Keine Sorge, ihr wird nicht schlecht.“

Ella schaut mich derweil nur schwanzwedelnd an und hofft eindeutig auf mehr. Zwei der Blätterteigteilchen habe ich ihr vor der Nase weggeschnappt, aber angeleckt sind sie trotzdem.

„Ja, und was mache ich jetzt damit? Wegwerfen oder ihr geben?“, frage ich und deute unschlüssig auf die beiden Miniaturen in meiner Hand.

„Kannst du ihr ruhig geben.“, erwidert Vicky mit etwas hilflosem Grinsen. „Die machen ja jetzt auch nichts mehr, nachdem sie schon alle anderen verschlungen hat …“

Zum Glück war keine Schokolade dabei. Die Magdalenas sind nicht viel mehr als Mehl, Eier und Zucker und die arabischen Süßigkeiten bestehen nur aus Blätterteig, Honig und Sesam, wobei Honig ja angeblich gut für Hundeherzen sein soll, wie mir mal eine Engländerin gesagt hat.

„Na, jetzt sofort werde ich es ihr aber besser nicht geben, sonst versteht sie das noch als Belohnung dafür, dass sie alle anderen verschlungen hat.“, sage ich entschieden, werfe, was von den Packungen noch übrig ist, in den Müll, deponiere die beiden übriggebliebenen Sesamröllchen in der Küche und schwöre mir, Ella nie wieder mit Essen irgendwo alleine zu lassen. Dabei sollte ich das mittlerweile ja eigentlich von Peluche gewöhnt sein. Schließlich hat sie mir schon von Huhn über Brot bis hin zum Apfel alles Mögliche von der Küchenarbeitsplatte stibitzt.