Barbaras Geschichten aus dem Hotel

Ein paar Tage nach Silvester meldet sich Barbara bei mir „Hey, Lust auf einen Kaffee und Büchertausch?“

Ich sage begeistert zu, liegt doch ein langweiliger, endloser Sonntag vor mir, und die Sonntage behagen mir immer noch nicht. Daher trudele ich eine Stunde später mit einer Tüte voller Bücher bei ihr ein.

Barbara macht Kaffee und stellt alle möglichen Weihnachtsleckereien auf den Tisch. Während wir Plätzchen knabbern und Kaffee trinken, erzählt sie mir, dass sie gerade an einem Online-Kurs zur Konfliktbewältigung teilnimmt. Barbara arbeitet in einem der hiesigen Hotels im Spa.

„Der Kurs ist richtig gut, denn im Hotel treten manche Gäste wahnsinnig aggressiv auf, und in diesem Kurs lernt man, wie man am besten darauf reagiert.“, erzählt sie mir und dann geht es los.

„Da war dieser hyperreiche Gast, der alle paar Minuten etwas beim Zimmerservice bestellte und dann von der Terrasse seiner Suite aus die Kellner mit einem Fernglas beobachtete. Nach einer Weile rief er mich an, ich solle in die Suite kommen. He, ich arbeite im Wellnessbereich, nicht im Küchenservice! Aber es handelte sich um einen regelmäßigen und wichtigen Gast, also ging ich brav in die Suite. Kaum dort, drückte er mir aufgebracht das Fernglas in die Hand und rief: ‚Da, schauen Sie mal, die haben mir gesagt, sie würden in ein paar Minuten jemanden hochschicken. Warum erst in ein paar Minuten und nicht sofort? Die haben doch nichts zu tun!‘ Dabei deutete er immer wieder auf die Kellner, die unten am Pool gerade wie verrückt herumflitzten, weil Stoßzeit war!“

Ich pruste los.

„Ehrlich, er sagte immer wieder ‚die haben nichts zu tun!‘ und beobachtete die Kellner unten am Pool mit seinem Fernglas! Dann gab er wieder eine neue Bestellung beim Zimmerservice auf, nickte mir zu und meinte: ‚Sehen Sie? Es ist wieder dasselbe. Die behaupten, ich müsste etwas warten, weil gerade Stoßzeit wäre‘. Darauf drückte er mir das Fernglas in die Hand und verlangte, dass ich mir anschaue, wie die Kellner herumstehen und nichts tun. Dabei sind sie wirklich die ganze Zeit wie wahnsinnig gerannt!“

Ich kichere immer noch albern.

„Oder die Geschichte mit den Tauben!! Oh Mann!“ Barbara lacht lauthals los. „Wir haben echt ein ganz übles Problem mit Tauben, und viele Gäste habe sich schon beschwert. Aber auch zurecht. Da ist ein Bereich auf der Terrasse, wo sich diese Viecher am liebsten in Gruppen aufhalten und dann halt auch überall hin machen. Ist schon ziemlich eklig. Und nichts konnte die Tauben von dort vertreiben. Absolut gar nichts. Also forderte die Hotelleitung ein paar Jäger an, um die Tauben abschießen zu lassen. Ging aber nicht, denn Seprona bekam Wind davon und unterband das sofort.“ Seprona ist eine Einheit der Guardia Civil und für Naturschutz zuständig.

„Die kamen, verboten den Abschuss und brummten dem Hotel eine saftige Strafe auf. Also war es nix mit den Jägern. Die Hotelleitung überlegte eine ganze Weile und kam dann auf den Trichter, man könnte sich ja Falken ausleihen. Von wegen natürlicher Feind und so. Sie dachten sich nämlich ganz schlau, dass die Falken Jagd auf die Tauben machen würden. Und sobald die Tauben weg wären, hätte man die Falken wieder an den Eigentümer zurückgeschickt. Klang ja eigentlich auch ganz logisch. Also haben sie die Falken gemietet.“ Barbara macht eine spannungsgeladene Pause, und ich grinse auch schon erwartungsvoll.

„Tjaa …“, sagt sie nun gedehnt. „Wir haben doch da direkt beim Spa diese tolle Gartenanlage mit diesem wunderschönen Teich … mit den Seerosen …“

„Hm.“, nicke ich und ahne schon etwas.

„Und mit den vielen schönen Goldfischen …“ Ich gluckse.

„Was haben die Falken gemacht? Sie haben den Teich leergefischt!!! Jetzt sind die Fische und die Falken weg. Aber die Tauben …, die sind immer noch da.“ Mittlerweile biege ich mich vor Lachen, während ich nach einem weiteren Keks greife. Barbara schenkt mir Kaffee nach und fährt fort:

„Und dann die Geschichte mit den Kaffeelöffeln!! Wir haben im ganzen Hotel nicht genug Kaffeelöffel. Kannst du dir das vorstellen???!! Die Dinger verschwinden ständig. Sind einfach weg. Es gibt nie genug Kaffeelöffel für alle Gäste. Natürlich beschweren sich die Gäste, weil sie keine Kaffeelöffel haben. Jetzt gehen ein paar besonders gewitzte Kellner morgens her, versuchen möglichst früh, noch vor ihren Kollegen da zu sein, schnappen sich die Kaffeelöffel aus der Küche und verstecken sie irgendwo!!“

„Eh??!!!“, mache ich.

„Ja, und wenn ihre Gäste dann einen Kaffeelöffel benötigen, weil weder auf den Tischen noch am Büffet welche zu finden sind, dann zaubern die Kellner, die für diese Gäste zuständig sind, einen Kaffeelöffel aus ihrem Geheimversteck hervor und überreichen ihn stolz ihren Gästen!! Als ganz besonderen Service eben. Mann, statt des ganzen teuren Blumenschmucks in der Lobby könnte die Hotelleitung doch mal mehr in Kaffeelöffel investieren, oder?“

Mir laufen die Tränen über die Wangen, während ich mir aus irgendeinem unerfindlichen Grund vorstelle, dass die Kellner auf Anfrage eines Gastes mit lautem ‚Tadaaaa‘ einen Kaffeelöffel aus der Hosentasche zaubern. Oder sich morgens extra den Wecker früher stellen, um statt Ostereiern Kaffeelöffel zu verstecken.

„Und dann, unsere Chefin im Spa. Das war vor ein paar Jahren, als sie noch ganz neu bei uns war … Wir ahnten überhaupt nichts, da hörten wir plötzlich ein lautes Platschen.“

„Uh?“, kommt von mir.

„Du kennst unseren Spa, wir haben durch die großen Glasfenster an der Rezeption den gesamten Bereich im Blick. Neben der Rezeption ist das Büro unserer Chefin, ebenfalls mit den großen Glasfenstern ausgestattet.“ Ich nicke.

„Stell dir das mal vor: Wir arbeiteten alle ganz ruhig an der Rezeption des Spa, als plötzlich die Tür des Chefbüros aufschwang, unsere Chefin an uns vorbeirannte und in den Pool sprang. Mit High-Heels, schickem Kostüm, Make-up, Frisur und so weiter. Patsch, in den Pool! Wir waren völlig perplex und fragten uns natürlich, was denn mit der nicht stimmte. Ich meine, deine neue Chefin lässt alles stehen und liegen, stürmt aus ihrem Büro und springt mit Kleidung, Schuhen und allem in den Pool? Da denkst du doch sonst was.“ Ich nippe an meinem Kaffee und warte, was da jetzt kommt.

„Wir haben eine Kundin, die mit ihrem Mann regelmäßig jedes Jahr kommt und dann auch immer den Spa besucht. Sie macht gerne so eine Art Unterwassermeditation. Wir kennen das alle schon. Bloß unsere Chefin hatte keine Ahnung davon. Sie hat die Frau im Pool gesehen, mit dem Gesicht nach unten im Wasser, die Arme ausgebreitet und dachte, sie wäre bewusstlos. Ich meine, stell dir die Situation vor … Die Touristin wusste gar nicht, wie ihr geschah, weil sie so plötzlich aus dem Wasser gezogen wurde. Unsere Chefin war völlig perplex, weil die Frau sie verständnislos angeschaut hat und weder am Ertrinken war noch gerettet werden musste, und wir waren baff, weil wir nicht wussten, dass unsere Chefin keine Ahnung hatte! Dabei saß der Ehemann dieser Kundin gemütlich am Pool und hat seine Frau beobachtet.“ Sie lacht laut los und erzählt dann weiter:

„Ja, und dann war da noch so eine Geschichte an einem Abend. Wir müssen abends immer die Spinde in der Umkleide überprüfen, ob auch niemand was vergessen hat. Es war echt schon spät, alle waren gegangen. Nur meine Kollegin María und ich waren noch da und mussten die letzten Dinge erledigen. Ich saß draußen an der Rezeption und ging noch irgendwelche Papiere durch, da hörte ich María einen markerschütternden Schrei ausstoßen. Ich bin wie von der Tarantel gestochen aufgesprungen und losgerannt. Das klang so übel, ich dachte, es ist sonst was passiert.“ Barbara greift ebenfalls nach einem Keks.

„María stand in der Umkleidekabine und war total bleich im Gesicht. Als ich ankam, hat sie mich nur mit riesigen Augen angeschaut, fassungslos den Kopf geschüttelt und stumm auf einen dieser Spinde gedeutet. Sie war so erschrocken, dass sie keinen Ton rausgebracht hat. Jetzt wusste ich ja nicht, was da in diesem Spind steckte, also ging ich erst mal ganz vorsichtig näher heran und schaute María dabei fragend an, die aber immer noch völlig sprachlos war und nur auf den Spind deutete. Und dann fing sie an, leicht hysterisch zu kichern. Ich rückte noch ein bisschen näher an den Spind heran, machte ihn extrem vorsichtig und langsam auf, und sah mich plötzlich Auge in Auge mit einer der Schildkröten aus dem Gartenteich!!!!“

„Was???“, frage ich fassungslos.

„Ja.“, bestätigt Barbara grinsend. „Da hockte eine Schildkröte im Spind.“

„Wie ist die denn dahin gekommen?“, will ich wissen, während ich mir vorstelle, wie die Schildkröte wohl den ganzen Weg vom Teich bis in den Spa und in die Umkleidekabine zurückgelegt haben soll. „Irgendein Gast muss die Schildkröte aus dem Teich geangelt und in den Spind gesetzt haben. Weiß der Geier wann und warum. Ein Scherzkeks halt.“, lacht Barbara, während sie hilflos mit den Schultern zuckt.

„Das gibt’s doch nicht!“, greife ich mir an Kopf.

„Hab ich auch gedacht. Bis ich’s mit eigenen Augen gesehen habe.“, nickt Barbara nur.

„Und dann?“

„Nix und dann. Wir haben das arme Tier wieder in den Gartenteich gesetzt. Die Schildkröte hat sich wahrscheinlich mehr erschrocken als María und ich zusammen. Aber echt, auf was für Ideen manche Leute doch kommen, oder?“

Ja, unglaublich. Aber dank solcher seltsamen Ideen habe ich einen vergnüglichen Sonntag verbracht. Ein Hoch auf die Scherzkekse dieser Welt.