Frühsommer 2022.
Pilar ist zu Besuch in Chiclana. Wir treffen uns zum Frühstück, denn ich habe sie gebeten, ein Aquarell für mein Buchcover zu malen. Zunächst sprechen wir ein bisschen über das Cover. Dann weine ich mich bei ihr über Ben aus, denn ich habe vor ein paar Tagen festgestellt, dass er sich nicht nur zu einem Superurlaub nach Kolumbien abgesetzt, sondern mich auch gegen ein anderes Modell ausgetauscht hat, wobei ich Letzteres über Facebook erfahren durfte, denn er war blöd genug, ein gemeinsames Foto und zahlreiche Liebesbeteuerungen zu veröffentlichen. Seltsam nur, dass er zwar seit drei Monaten mit seiner neuen Flamme zusammen ist, mir in der Zeit aber auch weiterhin Nachrichten geschickt und behauptet hat, er könne es kaum erwarten, zu mir zurückzukommen. Dämlicher Idiot.
Pilar erzählt mir nun zu meiner großen Erheiterung von ihrer Erfahrung mit einem ähnlichen Typen. Auf Englisch (und Neudeutsch) werden sie Player genannt:
„Ich hatte ihn über Facebook kennengelernt und mit ihm gechattet. Er flirtete heftig mit mir, doch irgendwas war komisch. Ich konnte es nicht genau bestimmen, aber meine Nase sagte mir einfach, dass da was nicht stimmte. Deshalb legte ich mir unter dem Namen Daniela ein zweites, ein falsches, Profil zu und schickte ihm eine Freundschaftsanfrage. Er nahm sie auch sofort an, obwohl mein falsches Profil kein Foto hatte. Ich flirtete als Daniela wie verrückt mit ihm, brachte ihn so richtig auf Touren. Gab mich als mujer goma aus.“
„Mujer goma?“, frage ich verständnislos.
„Du weißt schon – eine im Prinzip komplett künstliche Frau. Jede Menge Silikon im BH, botoxgeglättetes und mit Hyaluronsäure aufgefülltes Gesicht, Lippen wie ein Karpfen, künstliche Nägel, künstliche Wimpern, Extensions und sonstige Haarteile auf dem Kopf, super kurze Kleider, Ausschnitte bis zum Bauchnabel und so weiter.“ Sie gestikuliert mit den Händen, während sie mir eine mujer goma, eine Gummifrau, beschreibt.
„Er war total verrückt nach mir als Daniela und wollte mich unbedingt kennenlernen. Auf die Nachrichten meines falschen Ichs sprang er immer sofort an, auf die Nachrichten von mir als Pilar reagierte er zunehmend abgekühlter. Das eine Profil konnte ich über mein Tablet aufrufen, das andere, mein echtes, über mein Handy. An manchen Tagen bombardierte ich ihn über beide Profile mit Nachrichten, einfach nur um zu schauen, wie er reagierte. Es war absolut irre.“ Sie nippt an ihrem Kaffee und grinst breit, während ich sie gespannt anstarre. Da hat sie es einem Player tatsächlich mit gleicher Münze heimgezahlt. Cool.
„Dann, eines Tages – ich hatte mit ihm über mein Profil als Daniela ein paar Minuten gechattet – brach ich unser Gespräch ab und erklärte ihm, dass ich an dem Tag eine Zeit mehr für weitere Unterhaltungen hätte, weil meine Hormontherapie gleich losginge. Da er wusste, dass ich, Pilar, Pharmazeutin bin, schickte er gleich eine Nachricht an mein echtes Profil, in der er mich fragte, warum Leute Hormontherapien machen. Ich nannte ihm verschiedene Fälle und erwähnte so ganz nebenbei, dass man auch bei einer Geschlechtsumwandlung eine Hormontherapie macht. Daraufhin drängte er „Daniela“, ihm unbedingt ein Foto zu schicken. Er war hartnäckig, gab nicht nach. Aber ich hatte ja genau damit gerechnet, und meine Rechnung war aufgegangen. Im Internet hatte ich Wochen vorher schon ein Foto von einem Transvestiten gefunden – in einer wahnsinnig künstlerischen Pose fotografiert. Sah toll aus. Supersexy, aber ganz klar ein Mann, der als Frau zurecht gemacht war. In meiner Rolle als Daniela schickte ich meinem Facebook-Bekannten nun dieses Foto und behauptete, das wäre ich. Tja, und schon blockierte er „Daniela“ und schäkerte und flirtete plötzlich wieder mit Pilar! Ich war ihn und seine dummen Spielchen aber kurze Zeit später schon leid. Ich erklärte ihm die Sache mit „Daniela“ und sagte ihm, dass er dahin gehen sollte, wo der Pfeffer wächst.“
Ich verschlucke mich fast vor Lachen und stelle mir natürlich auch gleich vor, wie ich Ben den gleichen Streich spiele.
Nachdem meine Gedanken jetzt zu Ben zurückgekehrt sind, zeige ich Pilar ein Foto von ihm und seiner Neuen. Sie wirft einen langen Blick darauf, nickt zuerst „mujer goma“, schaut mich dann prüfend an und fragt mich: „Mal ganz ehrlich, siehst du dich da? An ihrer Stelle?“ Ich überlege eine Weile und muss dann sowohl ihr als auch mir selbst kopfschüttelnd gestehen: „Nein, eigentlich nicht.“
