Nachdem ich in den letzten Tagen am Telefon diverse achtunddreißig- und siebenundsiebzigjährige Kavaliere abwimmeln musste, macht sich in mir langsam das Gefühl breit, dass das Universum komplett durchgeknallt ist. Also entweder das Universum oder ich …
Nach meinem Chat mit meinem achtzehn Jahre jüngeren Fan und Nachbarn habe ich jeden Tag unzählige Herzchen und Rosen-Sticker von ihm bekommen. Abgesehen von ihm und einem Siebenundsiebzigjährigen, dem Sechzigjährige zu alt sind, habe ich noch jede Menge Herzchen von irgendwelchen Typen aus Tinder bekommen. Typen mit denen ich noch nie ein Wort gewechselt habe. Im Moment bekomme ich Herzchen am Morgen, am Mittag und am Abend, rote Herzchen, pinkfarbene Herzchen, pumpende Herzchen, Herzchen mit Blumen, Herzchen in Händen, doppelte Herzchen, Herzchen mit Rosen. Ich werde im Moment derart mit Herzchen bombardiert, es ist ein echter Herzchen-Overkill. Seit wann sind Männer eigentlich derart schnell mit Herzchen bei der Hand? Muss an den Emojis liegen, die machen das Ganze so einfach. Keine verbindlichen Worte, sondern stattdessen nette, unverbindliche Symbölchen.
Heute hat mein junger Nachbar Geburtstag und mich zum Mittagessen eingeladen. Ich habe ihm freundlich gratuliert und ebenso freundlich abgesagt. Ich versuche wirklich höflich zu bleiben, aber ich habe langsam das Gefühl, dass Höflichkeit überbewertet wird. Mich stürzt sie jedenfalls nur von einem Chaos ins nächste.
„Scheint, als würde ich mich auf einer Art Zeitlinie bewegen.“, murmele ich ironisch vor mich hin, während ich darauf warte, dass mein Morgenkaffe in die Tasse tröpfelt. „Von minus achtzehn (Ernesto, mein Nachbar) über minus zehn (ein Typ aus Tinder, mit dem ich noch kein Wort gewechselt habe, der mich stattdessen aber auch schon mit Herzchen bombardiert) direkt bis hin zu plus zweiundzwanzig Jahren (der Siebenundsiebzigjährige).“
Mit Ben ist es seit einiger Zeit aus, weil er mich erneut geghostet hat, und ich mir das nicht länger antun wollte. Deshalb bin ich wieder in Tinder unterwegs – ich habe mich von Fiona dazu breitschlagen lassen. Aber die vielen ungebetenen Herzchen von Unbekannten gehen mir doch gegen den Strich. Oder Anmachsprüche wie ‚Dich sollte man häppchenweise verspeisen‘. Igitt. Oder schwülstige Gedichte über das Gift meiner Küsse. Doppel-Igitt.
Der Gedanke mit der Zeitlinie erheitert mich dermaßen, dass ich voller Ironie ein paar Berechnungen anstelle. Ich komme dabei zu dem Schluss, dass der nächste Typ, wenn ich mich tatsächlich weiter auf dieser Art von Zeitlinie bewege, eigentlich nur noch so um die fünf Jahre jünger sein wird. Und danach, ja danach treffe ich dann vielleicht endlich jemanden in meinem Alter.
Ich bitte ja wirklich nicht um viel, es ist nicht nötig, dass mir mehrere Männer Herzchen schicken. Ich wäre vollkommen glücklich, wenn mir nur ein einziger Mann Herzchen schicken würde. Aber bitte der Richtige. Und dazu in meinem Alter oder ein paar Jährchen älter oder jünger, aber doch nicht gleich achtzehn oder zweiundzwanzig! Dieser Mann dürfte mir dann auch alle Herzchen schicken, die er will, in jeder Farbe und jedem Farbton. Und er dürfte sie mir auch vierundzwanzig Stunden täglich schicken. Ich wäre mit Sicherheit absolut begeistert und würde sie alle lieben. Stattdessen bekomme ich jede Menge Herzchen von den falschen Männern. Wirklich, das Universum muss durchgedreht sein. Plötzlich wünsche ich mir, es gäbe die Enterprise und Scotty mit seinem Beam-Strahl wirklich. Dann könnte ich beim nächsten Herzchen, das auf meinem Telefon auftaucht, aus vollem Hals Beam me up, Scotty! schreien, mich hochbeamen lassen und von oben allen auf die Köpfe spucken. Vor allem aber Ben, durch den ich die Begriffe Ghosten, Benching, Submarining und Breadcrumping kennengelernt habe. Schönen Dank auch.
Tja, und auf einmal wird mir ein gewaltiger Strich durch meine eben so schön angestellte Berechnung gemacht: Statt zu einem fünf Jahre jüngeren Typen springe ich noch vor meinem ersten Schluck Kaffee gleich zu einem Typen, der nur ein Jahr älter ist … Jep. Ben ist mit einem Mal wieder zurück. Wie aus dem Nichts plötzlich wieder aufgetaucht. Mein Kaffee ist eben erst in meiner Tasse gelandet, ich hatte noch keine Zeit, daran zu nippen, da dudelte mein Handy mit Bens Erkennungsmelodie los. Zu meiner absoluten Fassungslosigkeit lese ich wieder einmal: „Hallo beautiful.“ Selbstverständlich von einem Herzchen gekrönt. Wie sollte es auch anders sein.
Beam me up, Scotty!!!!
